Gewidmet den Menschen wahren guten Willens

 

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* Bedeutung und Natur des seelischen Wesens

Das, was man in der Terminologie des Yoga unter “seelisch” versteht, ist das Element der Seele in der Natur, die reine Seele oder der göttliche Nukleus, der hinter dem Mental, Leben und Körper steht (er ist nicht das Ego), und dessen wir uns nur undeutlich bewusst sind. Er ist ein Teil des Göttlichen, und besteht fort von Leben zu Leben, wobei er die Lebenserfahrung durch seine äußeren Instrumente empfängt. In dem Maße wie diese Erfahrung wächst, offenbart er eine sich entfaltende seelische Persönlichkeit, die immer auf dem Guten und Wahren und Schönen beharrt, und schließlich bereit und stark genug wird, die [menschliche] Natur dem Göttlichen zuzuwenden. Sie kann dann gänzlich hervortreten und den mentalen, vitalen und physischen Schirm durchbrechen, die Instinkte beherrschen und die Menschennatur wandeln. Die Natur drängt sich nicht länger mehr der Seele auf; vielmehr ist es die Seele, der purusa, der der Natur seine Befehle auferlegt.

Das Wort Seele hat je nach dem Zusammenhang verschiedene Bedeutungen; es kann der purusa sein, der die Gestaltungen der prakrti stützt – das, was wir das Sein nennen, obwohl das richtige Wort dafür das Werden wäre; es kann aber auch speziell das seelische Wesen in einem evolutionären Geschöpf wie dem Menschen bedeuten; es kann der göttliche Funke sein, der in die Materie durch die Herabkunft des Göttlichen in die stoffliche Welt gelangte, und hier alle sich entwickelnden Formierungen aufrecht erhält. Es gibt kein seelisches Wesen in einem nicht-evolutionären Geschöpf wie dem asura, und kann auch keines geben, ebensowenig in einem Gott, der es für sein Dasein nicht braucht. Im Gott gibt es jedoch einen purusa und eine prakrti oder die Energie der Natur dieses purusa. Wenn ein Wesen der fixierten Welten sich entwickeln will, muss es zur Erde herabkommen, einen menschlichen Körper annehmen und willens sein, an der Evolution teilzuhaben. Die vitalen Wesen wollen aber diese Zustimmung nicht erteilen und versuchen daher, von den Menschen Besitz zu ergreifen, damit sie die Stofflichkeit des physischen Lebens genießen können, ohne die Bürde der Evolution auf sich zu nehmen oder sich dem Vorgang der Wandlung, in dem jene kulminiert, zu unterziehen.

In dieser niederen Schöpfung, apara prakrti, erscheint dieser ewige Teil des Göttlichen als Seele, ein Funke Göttlichen Feuers, der die individuelle Evolution, das mentale, vitale und physische Wesen stützt. Das seelische Wesen ist der Funke, der zu einem Feuer wird und sich mit dem wachsenden Bewusstsein entfaltet. Das seelische Wesen ist daher evolutionär und geht nicht wie der Jivatman der Evolution voran.

Diese äußere objektive und oberflächlich subjektiv erscheinende Natur, die die ganze Vielheit von Mental, Leben und Körper manifestiert, nennt man die niedere Natur, apara prakrti. Die höchste Natur, para prakrti, die sich dahinter verbirgt, ist die eigentliche Natur des Göttlichen, eine höchste Bewusstseinskraft, die das mannigfache Göttliche als die Vielen manifestiert. Diese Vielen als solche sind die ewigen Selbste des Höchsten in seiner höchsten Natur, para prakrti. Hier in Bezug auf diese Welt erscheinen sie als Jivatmas, welche die Evolution der natürlichen Geschöpfe, sarva bhutani, stützen in dem veränderlichen Werden, aus dem das Dasein des ksara purusa (des beweglichen oder veränderlichen Purusha) besteht. Der Jiva (oder Jivatman) und die Geschöpfe, sarva bhutani, sind nicht das gleiche. Die Jivatmas stehen in Wirklichkeit über der Schöpfung, obwohl sie an ihr teilnehmen; die natürlichen Wesen, sarva bhutani sind die Geschöpfe der Natur. Mensch, Vogel, Tier und Reptil sind natürliche Wesen, doch das individuelle Selbst in ihnen ist nicht einen einzigen Augenblick lang charakteristisch für Mensch, Vogel, Tier oder Reptil; in seiner Evolution bleibt es durch all diese Wandlungen dasselbe, ein spirituelles Wesen, das dem Spiel der Natur zustimmt.

Wenn Wissen die weiteste Macht des Bewusstseins ist, und seine Aufgabe darin besteht, zu befreien und zu erleuchten, ist dennoch die Liebe die tiefste und intensivste Macht des Bewusstseins, und es ist ihr Privileg, der Schlüssel zu den unergründlichsten und geheimsten Winkeln des Göttlichen Mysteriums zu sein. Der Mensch, da er ein mentales Wesen ist, neigt dazu, dem denkenden Mental, dessen Vernunft und Willen und seiner Art der Annäherung an die Wahrheit und ihrer Verwirklichung, die höchste Bedeutung beizumessen, ja, er sieht sich sogar zu der Annahme veranlasst, dass es keine andere gibt. Das Herz mit seinen Emotionen und unberechenbaren Regungen ist in der Sicht seines Intellektes eine dunkle, ungewisse und oft gefährliche und irreführende Macht, die durch den Verstand, den mentalen Willen und die Intelligenz unter Kontrolle gehalten werden muss. Und dennoch ist im Herzen oder dahinter ein tieferes, mystisches Licht; dieses ist zwar nicht das, was wir Intuition nennen – denn diese, obwohl dem Mental nicht zugehörig, kommt dennoch durch das Mental herab – es hat aber dennoch eine direkte Fühlungnahme mit der Wahrheit und ist dem Göttlichen näher als der menschliche Intellekt in seinem Wissensstolz. Gemäß der alten Lehre ist der Sitz des immanenten Göttlichen, des verborgenen Purushas, im mystischen Herzen – der geheimen Herzenshöhle, hrdaye guhayam, wie es die Upanishade ausdrückt –, und nach der Erfahrung vieler Yogis kommt von seinen Tiefen die Stimme oder der Atem des inneren Orakels. Diese Zweideutigkeit, diese gegensätzlichen Erscheinungen von Tiefe und Blindheit, entstehen durch den doppelten Charakter des menschlich-emotiven Wesens. Denn in den Menschen befindet sich im Vordergrund ein Herz voller vitaler Emotionen, ähnlich dem der Tiere, wenn auch vielfältiger entwickelt; seine Emotionen werden von egoistischer Leidenschaft gelenkt, blinden, instinktiven Neigungen und dem ganzen Spiel der Lebensimpulse mit ihren Unvollkommenheiten, Perversionen und oft schmutzigen Entartungen, – das Herz ist von Lüsten, Begierden und Wutanfällen, von intensiven oder ungestümen Forderungen, von den kleinen Begierden oder niedrigen Schäbigkeiten einer dunklen und gefallenen Lebenskraft bedrängt und ihnen ausgeliefert, und verdorben durch seine Sklaverei an jedweden Impuls. Dieses Gemisch des emotiven Herzens und des sinnlich-lüsternen Vitals schafft eine falsche Begierdenseele im Menschen; diese ist das rohe und gefährliche Element, dem der Verstand zu Recht misstraut, er empfindet die Notwendigkeit einer Kontrolle – obgleich die tatsächliche Kontrolle, oder besser gesagt, die Gewalt, die er über unsere rohe und beharrliche, vitale Natur auszuüben vermag, immer sehr unsicher und irreführend ist. Die eigentliche Seele des Menschen aber ist nicht dort; sie ist in dem wahren, unsichtbaren Herzen in einer leuchtenden Höhle der [menschlichen] Natur verborgen: dort, wo das göttliche Licht einsickert, ist unsere Seele, ein schweigendes, innerstes Wesen, dessen nur wenige je gewahr werden; denn obzwar alle eine Seele haben, sind sich nur einige ihrer wahren Seele bewusst, oder fühlen ihren direkten Impuls. Dort wohnt der kleine Funke des Göttlichen, der diese dunkle Masse unserer Natur stützt, und um ihn herum wächst das seelische Wesen, die geformte Seele oder der wirkliche Mensch in uns. In dem Maße wie dieses seelische Wesen in ihm wächst, und die Regungen des Herzens dessen Weisungen und Impulse spiegeln, wird sich der Mensch mehr und mehr seiner Seele bewusst, er hört auf, ein überlegenes Tier zu sein; dann und wann zu flüchtiger Schau der Gottheit in ihm erwachend, öffnet er sich immer mehr ihren Hinweisen auf ein tieferes Leben und Bewusstsein und dem Impuls zu göttlichen Dingen. Es ist einer der entscheidenden Momente des integralen Yoga, wenn dieses seelische Wesen befreit wird, und hinter dem Schleier hervortritt, und die volle Flut seiner Ahnungen, Gesichte und Impulse auf das Mental, das Leben und den Körper des Menschen ausgießt, wenn es beginnt die Errichtung der Gottheit in der Erdnatur vorzubereiten.

Ref : Das seelische Wesen ; Aurobindo